Valeria

Ich bin sehr glücklich über dieses Interview oder viel mehr niedergeschriebenes Gespräch mit Valeria. Sie ist 21 und ich habe sie in einem Portrait-Fotografie-Kurs an der Uni kennengelernt. Über unsere kurzen Stoppeln auf dem Kopf und die Themen Weiblichkeit und Männlichkeit, Sexualität und Selbstbewusstsein sind wir ins Gespräch gekommen. Ich bin sehr dankbar und erstaunt über Valerias Ehrlichkeit und Offenheit, so viel Persönliches mit mir und auf dem Blog teilen zu wollen. Genau das ist es, was ich will mit diesem Blog: Die ungeschönte, intime Wahrheit über sich selbst und damit die Repräsentation der natürlichen unperfekten Vollkommenheit des Menschen. Und nochmal mehr ist mir klar geworden, wie sehr ich zu ihrer Empfindsamkeit stehende Menschen feiere. Vielen Dank, Valeria!

 

I N T E R V I E W

In Bezug auf den Ausdruck deiner Persönlichkeit – wie erlebst du das, in der Gesellschaft, aber auch unter Freunden? Fühlst du dich eingeschränkt, erlebst du eine Unfreiheit in einem Bereich oder kannst du dich voll ausleben?

Das ist eine interessante Frage… Um auf das „männlich-weiblich“ Ding zu sprechen zu kommen, habe ich das schon immer gehabt, dass wenn ich zu meiner Familie in die Ukraine gefahren bin, ich gemerkt habe, krass, ich muss mich jetzt anders kleiden, weil ich sonst zu burschikos bin, wenn ich mit ‘nem Flanellhemd und kurzen Haaren rumrenne, von mir wird gerade etwas anderes erwartet. Ich sollte mich femininer kleiden, auch von meiner Mutter kam oft, ich würde doch so viel schöner aussehen, wenn ich mich anders anziehen würde. Eine indirekte Kritik an die großen Männerpullover, die ich oft trage… Das hab ich letzte Woche festgestellt und mich gefragt, was wäre ich für ein Mensch geworden, wenn es nicht immer diesen Anspruch an sich selbst gäbe: Wie sehen mich gerade die anderen? Und ich habe das auch jetzt im Alltag, seit ich mir die Haare abrasiert habe, dass ich es damit kompensieren will, indem ich mich dafür stärker schminke oder mehr Ausschnitt trage, weil ich nicht son komplett „männliches“ Auftreten haben wollte, was eigentlich totaler Bullshit ist. Keine Ahnung, im Endeffekt ist es so nichtig wie man sich kleidet, aber vielleicht hat sich bei dir ja auch was verändert, seit du die Haare ab hast. Dass, wenn du ’nen zugeknöpftes Hemd anhast, dass es dir schon wieder zu „edgy“ oder zu hart aussieht?

Ja, das kenn‘ ich auch… 

Also, vom Äußerlichen her gab’s immer so Eckpunkte und ich glaube, die hat auch jeder irgendwie, dass man natürlich in seiner Jugend Phasen durchlebt, wo man denkt, boah, das ist jetzt mein Style oder so und irgendwann son halbes Jahr später merkt, ok, Lila ist doch nicht meine Farbe und ich hab Lila getragen und es war ganz klar, dass die Leute einen komisch angeschaut haben, aber man hat sich zu der Zeit ganz anders wahrgenommen, als man es in dem Moment dachte.

Ich glaub Einschränkungen kommen hauptsächlich von dem, was ich denke, was von mir erwartet wird. Weil diese Erwartungen ganz oft gar nicht existieren. Eine Wertung existiert eigentlich immer, egal welchem Menschen man begegnet. Das ist auch ganz stark vom Kontext abhängig. Wie ich sagte, in der Ukraine fühle ich mich ganz anders mit mir als hier, aufgrund meiner Haare. Ich werde dort oft gefragt: „Bist du ’nen Junge oder was?“, und das finde ich dann schon sehr unangenehm in dem Moment. Das ist krass, in Hildesheim und der Domänen-Blase hat man dieses Gefühl gar nicht, weil alle so alternativ rumlaufen. Das hat man schon in der Ersti-Woche gemerkt, dass man sich umgeguckt hat, wie die anderen so auftreten und man plötzlich den Anspruch hatte, doch noch eins draufzulegen, weil man doch wieder zu „normal“ ist. Das hab ich zumindest so festgestellt. Aber das sind ja jetzt alles Äußerlichkeiten. Ich weiß nicht…

Wenn du das Äußere weglässt, wie willst du unabhängig davon wahrgenommen werden?

Früher hatte ich es oft, dass ich zu Gruppen dazugehören wollte auf dem Schulhof zum Beispiel, bei denen, die eher so die Cooleren waren. Und dass ich dann im Nachhinein aber festgestellt habe, dass die mich gar nicht so toll fanden. Ich wurde oft als zu nervig wahrgenommen. Ich glaube, das trifft auch zum Großteil zu. Mit 11, 12 war ich noch viel aufgedrehter und irgendwie so cray cray drauf. Ich glaube, wenn man seine Unsicherheiten auf die Art kompensiert, wenn man in ‘ner neuen Gruppen ist, dass man dann genau das umstülpt, womit man eigentlich Unsicherheiten hat, sodass ich immer so aufgedreht war und im Nachhinein eigentlich immer den Schlag in die Fresse bekommen hab, weil ich gemerkt habe, das war eins zu viel. Hätte ich besser ein bisschen Laid-back mein Ding gemacht, wie ich eigentlich wirklich bin, ohne dass ich versuchen muss, mich anders zu geben, dann wäre ich vielleicht auch nicht immer als zu nervig betitelt worden. Ich finde es krass, dass eine Sache, die mir mal mit 12 gesagt wurde, immer noch so nachhängt. Manchmal denke ich abends, ohmann, heute war ich schon wieder so aufgedreht und so nervig drauf und wahrscheinlich wird das keine Person in dem Raum gedacht haben, außer mir selbst. Aber ich schiebe nach wie vor diesen Film, nach mittlerweile knapp zehn Jahren.

Dann mal anders gefragt: Welche Eigenschaft findest du so richtig geil an dir?

Ich glaub ich bin sehr fürsorglich. Das mag ich an mir. Wenn Menschen mir die Dankbarkeit entgegen bringen, dass ich etwas Gutes für sie tue. Aber das ist gleichzeitig auch eine Schwäche, weil es mir schwerfällt, meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und festzustellen, was will ich jetzt eigentlich? Das merke ich in Beziehungen ganz stark, dass, wenn ich gefragt werde: „Was möchtest du denn eigentlich?“, dass ich dann feststelle, ich mache das extrem abhängig von dem, was die andere Person gerne möchte und passe mich dem gerne an. Es ist sowohl Stärke als auch Schwäche, diese Anpassungsfähigkeit. Hmm… was mag ich noch an mir…

Oder wofür bekommst du oft Komplimente?

Ich bekomme tatsächlich oft Komplimente für meine Haare (lacht). Ich glaube, viele Leute finden es auch wirklich schön, viele finden’s auch nicht so schön. Einige tun es aber aus dem Aspekt heraus, cool, dass du dich das traust und cool, dass du das so machst und damit sone Stärke beweist. Wobei ich glaube, dass das gar nicht so viel mit Stärke zu tun hat, sondern eher: Ich hatte Lust drauf und hab’s gemacht und wollte damit kein Zeichen setzen. Aber für viele ist es dann doch sone Anomalie, das zu machen worauf man Bock hat, weil es doch diesem Standard-Schönheitsideal nicht ganz entspricht.

Und Komplimente für Eigenschaften von dir?

Ich weiß nicht, wie oft bekommt man schon für solche persönlichen Aspekte Komplimente? Das ist schwer.

Eigentlich sollte das voll die Normalität sein. Machst du denn oft anderen Komplimente für ihre Eigenschaften? Ich finde zum Beispiel, du hast eine sehr erfrischende Art. Sehr herzlich und zugewandt und du kannst dich voll gut ausdrücken. 

(Lacht) Danke! Das hab ich tatsächlich in den letzten Monaten öfter gehört, dass meine Sprache sehr gewählt scheint, was ich jetzt immer nicht so feststellen kann, aber scheint eine Auffälligkeit zu sein. Für mich sind das aber eher Feststellungen, die gar nicht unbedingt eine Wertigkeit oder ein Kompliment darstellen, sondern, das ist eher wie „Ah ja, du machst das und das so“.

Aber das ist doch etwas Schönes, oder nicht? Für mich ist es innerhalb dieses Selbstliebeprozesses wichtig zu wissen, wofür ich stehe und was ich gut kann, wofür mich andere schätzen. Ich finde es wichtig, sich das oft ins Bewusstsein zu holen um eine Art von Identitätsgefühl zu bekommen. Das hilft mir auch, mich zu erinnern, wenn ich mich gerade mal wieder total scheiße finde. Um mein in den Momenten total verzerrtes Selbstbild wieder ein wenig gerade zu rücken.

Aber ich finde es allgemein interessant, wie schwer es mir zum Beispiel fällt, mich an so etwas zu erinnern oder wirklich bewusst wahrzunehmen, was man eigentlich so für Positives von anderen Menschen zurückbekommt. Nicht, weil ich das nicht wahrnehmen möchte oder so, sondern… Es ist so, wie wenn Jemand nach meinen fünf Lieblingsfilmen fragt und ich in ’nem normalen Gespräch wahrscheinlich fünfzig nennen könnte, die ich gut finde, aber in dem Moment fällt mir halt irgendwie gar nichts ein.

Mit der frischen Art meine ich bei dir auch dieses Verschmitzte in deinem Gesicht, also den Humor, der bei dir oft um die Ecke lugt und dir dadurch eine Leichtigkeit gibt, die in deiner Gegenwart sehr angenehm ist. 

Mir fällt gerade wieder ein, dass mir viele Menschen sagen, ich würde sehr selbstbewusst auftreten. Das soll auch als Kompliment gemeint sein. Aber das finde ich meistens total erstaunlich, weil ich es oft in den Momenten bekomme, in denen ich mich eigentlich gar nicht selbstbewusst fühle. Es hat mit dem zu tun, was ich bereits sagte, dass ich manchmal genau das umstülpe, also etwas kompensiere, indem ich genau das Gegenüber dessen bin und dass die Momente, in denen ich denke, scheiße, wie sehe ich gerade aus und blablabla, genau die Momente sind, in denen ich selbstbewusst auf andere Menschen wirke und ich so eine fuck you attitude habe und es mir egal ist, was andere von mir denken oder wie ich wirke. Dann frage ich mich natürlich, was überhaupt Selbstbewusstsein ist. Ist es etwas, das einfach nur nach außen wirkt oder ist es etwas, das wirklich von innen heraus strahlt?

Ja… Das ist die schöne und spannende Frage überhaupt, die sich jeder mal stellen sollte, finde ich.

Ich glaube Selbstbewusstsein ist für mich genau dann da, wenn ich nicht drüber nachdenke. Tage, an denen ich mich super wohl fühle in meinem Körper sind eigentlich immer die, an denen ich es gar nicht wahrnehme, dass ich sozusagen Körper bin, sondern, dass ich erst im Nachhinein festgestellt habe, krass, heute fühle ich mich wieder unwohl, das war die letzten Tage nicht so. Wie bei diesem Spruch, dass man erst merkt, dass man glücklich ist oder war, wenn die Zeit vorbei ist. So ist es bei mir auch mit dem Selbstbewusstsein, ich bin selbstbewusst, wenn ich nicht über mich nachdenke und das erst im Nachhinein merke, wenn ich wieder unsicher bin.

Ja, das stimmt. Und gerade dann ist man ja am meisten man selbst. Beziehungsweise IST man dann einfach.

Das ist glaube ich das, was ich die letzten Monate bewusst versucht habe, herbeizuführen, einfach nicht so viel drüber nachzudenken und zu grübeln. Gerade, wenn es um Ängste, um Zukunft und sowas geht, und man dann anfängt, sich sone Patte zu machen wegen jeglichem Scheiß. Und sone Panik reinkommt, oh Gott, ich habe das noch nicht gemacht und das und das. Stattdessen einfach mal festzustellen, ey, ich muss jetzt nicht darüber nachdenken.

Genau! Klingt so simpel, ist doch schwieriger als man denkt, aber ganz logisch betrachtet reicht es ja, genau dann drüber nachzudenken, wenn man die Sache erledigt, als vorher schon viel brauchbare Energie an Gedanken zu verschwenden.

Das ist gerade mein Ziel. Nicht so viel nachzudenken. Wobei ich dann auch wiederum Angst habe, dass ich eine Art von Bewusstsein wieder verliere, eine Achtsamkeit mir und der Umwelt gegenüber. Aber ich glaube, dass das Nicht-Nachdenken viel gesünder ist. So, wie du auch meintest, man ist nicht unbedingt immer seine Gedanken. Das Denken kann viel kaputt machen.

Wenn du eine populäre Stimme oder eine Art Mikrofon für die Gesellschaft hättest, gibt es etwas, dass du aktuell gerne mitteilen willst?

(längere Pause)

Ja. Eine Art von modernem Hedonismus… Das zu machen, worauf man wirklich Lust hat und nicht immer aus ’ner sozialen Verantwortung heraus zu agieren, sei es Studienwahl oder ‘ne Beziehung die man miteinander führt. Also wirklich darauf zu achten, was man als Person selbst möchte und nicht immer die Erwartungshaltung von anderen erfüllen zu wollen. Ich habe das beim Studium so gehabt. Keine Ahnung, was ich so gemacht hätte, wenn ich wirklich das gemacht hätte, worauf ich Bock gehabt hätte. Früher wollte ich immer unbedingt an die Burg Giebichenstein und Kunst studieren, mir wurde aber im Laufe der Zeit immer wieder gesagt „Hmm… nur Kunst studieren? Da muss man aber gucken, wegen des Jobs und blablabla…“. Im Nachhinein habe ich mir immer gesagt, ich find’s überhaupt nicht schlecht, dass ich mich jetzt erstmal für mein jetziges Studium entschieden habe, ich kann mich trotzdem immer weiter in die bildende Kunst bilden. Aber auf der anderen Seite finde ich es jetzt auch sehr erfrischend, mich mit anderen Themen zu beschäftigen. Trotzdem bleibt die Frage, wer ich werden würde, wenn ich diesen Erwartungen von außen nicht mehr folgen würde, was ich leisten soll in dieser Gesellschaft und das Gefühl zu haben, ich darf das nicht machen, weil ich mich um meine Rente kümmern muss. Das ist eigentlich totaler Bullshit, denn ich lebe jetzt. Und das „Jetzt“ sollte ich so gestalten, wie es mir jetzt gerade gefällt. Ich glaube, dass die Menschen in einem Trott vor sich hin leben und teilweise ganz vergessen, was man eigentlich mal wollte oder will und einfach das machen was man irgendwann mal angefangen hat. Das finde ich echt schade. Es erfordert auch Mut sich umentscheiden zu können und Entscheidungen zu treffen an sich ist so ungefähr die schwerste Aufgabe im Leben…

Ich denke, da wo deine Leidenschaften liegen ist dein Potenzial. Das kann dann einfach nur gut werden, weil dort auch dein Wille liegt und ich glaube auch daran, dass du damit dann irgendwann Geld verdienen kannst. 

(Unser Gespräch verläuft weiter und wir sprechen über unsere Kurzhaarfrisuren, Außen- und Selbstwahrnehmung, Weiblichkeit und kommen somit zum Thema Sex. Ich sage, dass ich meine weibliche Energie gerade beim Sex am intensivsten spüren kann.)

Ich finde es toll, dass du dich beim „Intimitätsakt“ (lacht) nicht unwohl fühlst. Wenn es ums nackt sein geht, ist das etwas, woran ich noch arbeite. Es fällt mir schwer, weil ich mir nicht vornehmen kann, selbstbewusster aufzutreten oder mich wohler zu fühlen mit meinem Körper und mit dem, was ich bin. Es muss ja von innen herauskommen. Dieses Wohlfühlen hat ganz viel mit der Atmosphäre zu tun, mit dem Menschen, mit dem man gerade intim ist und mit dem Tagesgefühl. Ob man das mag, was man im Spiegel sieht oder nicht. Das führt irgendwie so schnell zu Verkrampfungen, wenn ich versuche, nicht verkrampft zu sein.

Aber ich glaube, das muss auf jeden Fall von innen kommen. An den Punkt zu kommen, seinen Körper umarmen und wertschätzen zu können. Das ist so wichtig und es sollte sich jede Frau zusprechen.

Hmm,  ja. Ich glaube es ist weniger das sich selbst zusprechen, als es wirklich selbst empfinden zu können. Diese ganze Body-Positivity-Richtung (Instagram-Phänomen, über welches sich vor allem Frauen mit bewusst ungeschönten und auch humorvollen Bildern ihrer natürlichen Körper präsentieren) hat mir auf jeden Fall schon viel Kraft gegeben, aus diesen Idealen herauszukommen, die ich stark ausgelebt habe. In Bezug auf Ernährung und Anderssein wollen, einen Ist-Zustand mehr akzeptieren zu können. Aber das Akzeptieren ist noch nicht ganz drin, die Tage überwiegen noch, an denen ich unzufrieden bin mit dem was ich habe, weil ich noch so krass in einer Denke bin, die ich mit 14, 15 hatte. Klar, kommen die Ansprüche viel von außen, aber auch von dem, was ich selber schön finde. Das ist total problematisch, weil ich tatsächlich manchmal Menschen, die relativ knochig sind, total schön finde. Das ist kacke, weil ich natürlich auch andere Menschen sehr schön finden kann. Aber mir selbst gegenüber ist diese Denke noch sehr fest verankert und es ist schwer, das abzulegen. Es heißt, jeden Tag an mir zu arbeiten, jeden Tag bewusst gegen destruktive Gedanken anzutreten. Auch bezogen auf Nacktheit führt es schnell zu einem Verkrampfen. Ich habe auch ein wahnsinniges Problem mit dem Sommer. Ich war noch nie so gerne freizügig. Es ist beim Schwimmengehen für mich Horror, mich in der Öffentlichkeit entkleiden zu müssen. Das macht es natürlich nicht gerade einfacher mit einer Person, mit der man intim sein will.

Oh Mann, das ist krass, ich höre das von so vielen Frauen! Es ist so schade, aber ich kann es auch verstehen. Ich habe gelesen, dass sich die Verbindung zu unserem Körper und Intimität sehr stark in der ersten Zeit im Bauch der Mutter und den ersten drei Lebensjahren ausbildet. Aber sicher kann es auch noch andere Gründe haben.

Es ist sehr vielschichtig, woher das kommen kann, denke ich. Von der Erziehung, von Menschen, mit denen man zu tun hatte, an denen man sich orientiert hat.

Ich frage mich auch, in wie weit Lust und sexuelles Verlangen da mit reinspielt. Bei mir habe ich das Gefühl, dadurch, dass ich oft sexuelle Lust verspüre, auch ein anderes, schönes Körperbewusstsein zu haben. Ich denke, dass das im Zuge der Selbstakzeptanz ein wichtiger Punkt ist oder was meinst du?

Ich denke, das ist auch wieder gefährlich, weil man voraussetzt, dass jeder Mensch so ein sexuelles Begehren hat oder haben sollte. Ich merke bei mir selbst, dass die Libido nicht so stark ausgeprägt ist, aber das kann natürlich auch spezielle Ursachen haben. Ich denke, es wird durch Unsicherheiten mit sich auch sehr gehemmt. Ich habe zum Beispiel das Ding, dass ich nicht kommen kann. Es ist eine starke Unsicherheit in Bezug auf Sex, denn natürlich gibt es da diese Idealvorstellung, dass am Ende beide befriedigt werden und für mich gibt es aber diese Vollendung nicht. Ich finde Sex auch wahnsinnig schön, insofern sich das auch gut angefühlt hat und keine Schmerzen bereitet, aber es gibt eben bei mir nicht den Punkt der Katharsis, eine Entladung der Lust. Vielleicht kommt das auch noch. Aber ich finde es schwer mit dem Thema umzugehen. Wenn man recherchiert, kommen dann so Dinge wie Sexualtherapie. Aber ich habe vielleicht gar nicht unbedingt den Anspruch, das beheben zu wollen, weil es ist vielleicht auch einfach gar nicht möglich ist. Kann natürlich sein, dass es irgendwann son Knackpunkt gibt, wo man weiß, woran das liegt. Ganz bestimmt haben bei mir Hemmungen viel damit zu tun und Unsicherheiten, dass man sich eben nicht komplett fallen lassen kann, weil da Gedanken aufkommen wie „Wie sehe ich gerade aus? habe ich ein Doppelkinn?“ und dann verkrampft man wahrscheinlich oder keine Ahnung, was dann passiert in meinem Körper und in meiner Psyche. Beides agiert ja gerade in diesem Fall sehr stark miteinander. Aber ich finde es auch ein wahnsinnig schwieriges Thema, Sex generell. Mit anderen darüber zu sprechen. Weil jeder so ein ganz anderes Verhältnis dazu hat. Ich würde mir natürlich für mich selbst wünschen, irgendwann diese Lust zu spüren, die ja wahrscheinlich wie eine Art Drogenerfahrung ist. Etwas, was man eben erleben kann, aber ich finde, mein Leben ist nicht weniger wertvoll, weil ich es nicht habe. Es ist eben ein Aspekt, der mir an schönen Erfahrungen fehlt oder fehlen wird.

Ich kann das sehr gut verstehen. Und trotzdem glaube ich, dass die sexuelle Energie, die im Chakren-System im Sakralchakra liegt, sowie dessen bewusste Erfahrung durch uns Frauen von großer Bedeutung sind, für Körper als auch für die Psyche. 

Wichtig ist da wohl vor allem Aufklärungsarbeit, dass man Sex nicht nur als Penetration sieht, sondern auch alles drum herum schildern kann. Sex ist nicht nur das Eindringen, sondern alles, was sich sonst auch gut anfühlt. Das Bewusstsein dafür, Bedürfnisse zu äußern. Ich merke immer wieder, vor allem wenn es um Sex geht, dass es mir sehr schwer fällt, irgendeine aktive Rolle einzunehmen, zu wissen, was sich gut anfühlt, weil sich vieles eigentlich gar nicht so gut angefühlt hat bisher. Das Selbstbewusstsein, das wahrzunehmen und zu äußern ist, empfinde ich als Kraftakt. Gerade fällt es mir eher leicht zu sagen, was sich nicht gut angefühlt hat, als das, was sich gut angefühlt hat, aber das auch erst im Nachhinein.

Es ist so paradox, dass etwas, dass eines der schönsten körperlichen Empfindungen der Welt auslösen kann, mit solcher Scham behaftet ist. 

Ich würde sagen, in der westlichen Kultur gibt es einfach keine wirklich ausgedehnte Sex-Kultur. Es fängt ja schon bei der Sprache an, die oft richtig unerotisch klingt. Und die Tabus, die aus der Gesellschaft heraus entstanden sind, sodass uns die Sexualpraktiken und die Kultur fehlen, das zu glorifizieren und zu feiern, wahrzunehmen und zuzulassen. Was glaube ich, in anderen Kulturen wie der östlichen, mehr zur Sprache kommt und in einer anderen Art von Politik ausgesprochen wird. Zum Beispiel die Yoni-Massage, bei der das weibliche Genital als Zentrum von Energien dargestellt wird. Das klingt eben schöner, als zu sagen: „Das ist eine Vulva mit einem schlauchförmigen Eingang.“ (lacht) Es fängt eben schon bei Sprache an. Ich glaube, ein gewisses Schamgefühl gehört zum Menschen dazu und das will ich mir auch gar nicht zum Ziel setzen, abzulegen. Ich finde eine Art von Geheimnis kann auch sehr erotisch sein. Ich finde mich in Unterwäsche auch ein bisschen schöner, als komplett nackt.

(Unser Gespräch verläuft weiter und Valeria bemerkt irgendwann, dass sie für sich diese Art des Weiblichseins, von der ich gesprochen hatte, gar nicht so genau definieren oder empfinden kann. Ich sage, dass ich diese Energie im Alltag kaum spüre, sondern eher im Nacktsein und beim Sex. Dann habe ich das Gefühl, ganz tief bei mir selbst zu sein, intim mit mir selbst. Ich sage, dass mir das Lustgefühl eine Form von Selbstvertrauen verleiht, als ob mir „die Welt gehören würde“ (lach) und denke dann, so müssen sich vielleicht Männer manchmal fühlen. Valeria entgegnet, dass sie es schön findet, dass ich mich in der Hinsicht so positionieren könnte. Sie hingegen möchte sich weniger als „Frau“ oder „Mann“ fühlen, sondern einfach als „Mensch“. Sie kann es nicht nachempfinden, was dieses „sich-weiblich- fühlen“ heißen kann, es sei etwas Undefiniertes, was sie aber auch nicht definieren will. Ich sage, dass es nicht unbedingt definiert werden muss, Fakt ist jedoch, dass ich da eine gewisse Energie in mir spüre und ich glaube, dass jeder Mensch so wohl Anteile der männlichen als auch weiblichen Energie in sich trägt. Es gibt die Unterscheidungen im Ying und Yang, wo das Weibliche z. B. dem Intuitiven entspricht oder die männliche Energie von einer gebenden Natur ist. Ich nenne ein Beispiel, dass von einer Frauengruppe eine andere Energie ausgeht als von einer Gruppe Männer. Daraufhin entgegnet Valeria… )

Aber das ist genau etwas, was wir gerade in unserem Uni-Projekt über weibliche Sexualität stark kritisieren. Genau diese Attribute, die man dem „Weiblichen“ oder „Männlichen“ zuschreibt, dass es eher mit einer kulturellen Anerziehung zu tun hat. Was wäre der Mensch, wenn er nicht in gewissen Rollenbildern aufwachsen würde? Diese Attribute können ja eigentlich für sowohl als auch zutreffen. Es fängt ja schon bei der Frage nach dem Geschlecht des Fötus‘ an. Wenn man fragt „Was wird es denn?“, dass dann z. B. die Tritte von einem weiblichen Baby als eher aktiv wahrgenommen werden und die eines männlichen Babys z. B. als agressiv. Eine Gruppe von männlichen Personen verhält sich anders, aber ich denke eher durch Sozialisation. Durch Erziehung wird einem was zu- oder abgesprochen. Dass das Sensible z. B. in dem Bild eines Mannes nicht so sehr akzeptiert wird. Es ist auf jeden Fall sehr spannend. Dazu passend lesen wir in unserem Projekt die Texte von Judith Butler (Das Unbehagen der Geschlechter), die Fragen wie „Was ist das Geschlecht?“ und „Wie viel davon wird von Gesellschaft und Kultur erzeugt?“ behandeln.

 

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