Rovshan

Rovshan, 30 Jahre alt, habe ich auf einer Party kennen gelernt. Seine Geschichte und seine kämpferische Art faszinieren mich und sind es wert, geteilt zu werden.

Er kommt aus Aserbaidschan und verspürte schon immer den Wunsch, nach Deutschland zu kommen. Aserbaidschans diktatorische Politik zwängte ihn in ein an Möglichkeiten begrenztes Dasein, das nicht lebenswert war. Vor fünf Jahren kam er nach Deutschland mit einem Studenten-Visum. Er hat bereits ein Studium in Aserbaidschan abgeschlossen, aber das nutzt dir in Deutschland meistens herzlich wenig, sodass du nochmal von vorn anfangen musst. 8.000 Euro musst du auf dem Konto haben, wenn du als Student nach Deutschland einwandern willst und nicht aus der EU kommst – nicht wenig Geld. Zudem handelt es sich dabei um ein Sperrkonto, von dem du monatlich nur 650 Euro zum Leben abheben darfst. Ich will die deutschen bürokratischen Bestimmungen zur Einwanderung hier nicht in Frage stellen, aber finde es schon eine beachtenswerte Leistung, diese Hürden auf sich zu nehmen.

Rovshan engagiert sich sehr stark politisch und hat Visionen für sein Heimatland, die er nun umsetzen will. Darüber kann ich mehr leider nicht schreiben. Er hat einen starken Willen, Mut und strahlt bedingungslose Liebe aus! Weiter so, Rovshan.

 

I N T E R V I E W

Was fällt dir auf, am Leben hier und an den Deutschen?

Als ich das erste Mal nach Deutschland gekommen bin, war das erste Problem das Wetter (lacht) und das zweite war der Unterschied zwischen den Menschen an sich, im Vergleich zu den aserbaidschanischen Leuten. Also das Temperament, wie die Menschen miteinander umgehen usw. und ich weiß nicht, ob wir Aserbaidschaner vielleicht stärkere menschliche Beziehungen untereinander haben oder die Leute hier weniger haben, aber hier war alles ein bisschen kalt für mich. Deswegen war es erst mal schwer.  Aber was ich schätze, ist die Nachdenklichkeit und das Reflektieren über die Dinge, das erlebe ich oft. Und, dass du hier in großer Freiheit lebst und deine Meinung äußern darfst. Ich habe viele Menschen kennen gelernt, die etwas verändern wollen und dazu auch die Möglichkeiten haben.

Warum sind vielleicht die menschlichen Beziehungen untereinander anders?

Wenn ich jetzt vergleiche, alle Länder, in denen ich gelebt habe, alle Leute die ich in meinem Leben getroffen habe, verstehe ich woran das liegt. Das macht der scheiß Kapitalismus mit den Leuten. Also, je besser finanziert eine Gesellschaft ist, desto weniger kommen die Leute zusammen um sich einander zu helfen. Ein kleines Beispiel, wie man in Aserbaidschan Hochzeit feiert: Ich will feiern, aber habe kein Geld. Also lade ich alle Leute aus dem Dorf ein, sie schenken mir Geld und ich kann die Hochzeit finanzieren. Und das funktioniert ja auch andersrum! Das sind wieder die menschlichen Beziehungen, wie können wir uns gegenseitig helfen, um etwas organisieren zu können? Ich denke, es kommt von dem kapitalistischen Verhältnis, dass wir unsere Eltern oder Freunde nicht mehr so viel brauchen.

Wir denken, dass wir sie nicht mehr so sehr brauchen!

Ja, wir denken das! Oder auch, dass wir sie finanziell nicht brauchen. Deswegen kommt so eine Situation in Deutschland. Und wenn ich über solche Sachen rede wie Freundschaft, so verstehen es die Aserbaidschaner anders und die Leute hier auch wieder anders.

Welchen Begriff von Freundschaft hast du denn?

Ich finde, wenn dir etwas nicht gefällt, dann musst du etwas machen, um es ändern zu können. Wenn ich dir zeige, was Freundschaft für mich ist, dann gibst du mir das zurück! Das funktioniert so, gute Menschen sind so! Du kannst das auch wie ich, so funktioniert es. Wenn ich irgendwelche Probleme habe, habe ich viele gute Freunde, die ich jede Sekunde anrufen kann und wenn ich sie hier brauche, dann kommen sie her zu mir.

Was treibt dich an? Woraus schöpfst du Kraft?

Ich kriege Kraft von den Leuten. Ich liebe Leute! Für mich ist es sehr wichtig, immer Leute in der Nähe zu haben. Ich kann nicht gut alleine sein. Ich kenne so viele Leute, ich brauche noch mehr, noch mehr, ich kriege neue Informationen, neue Gefühle! Denn Einsamkeit macht kaputt. Die Leute sind hier einsam, deswegen haben sie mehr psychische Probleme als die Leute in Aserbaidschan. Dort habe ich kaum einen Menschen mit psychischen Krankheiten oder Depressionen erlebt, aber hier ist es ja ungefähr jeder Dritte! Die Leute sind einsam, sie haben keine Freunde, die ihnen helfen, das sind die Probleme hier. Und ich finde, die Leute verlieren den Respekt zueinander. Zu den Eltern, zu alten Leuten.

Denkst du viel über dich selbst nach? Hast du Selbstzweifel?

Ich bin sehr positiv und ich versuche in einer Situation immer das Gute zu suchen. In dieser Gesellschaft ist es sehr schwer, positiv zu bleiben und sich nicht kaputt zu machen und ich versuche über meine Gesundheit und mein Nervendenken und darüber, vielleicht etwas schlauer als ein paar andere Leute zu sein, immer etwas aus einer Situation zu lernen. Wenn man etwas nicht ändern kann, warum sich kaputt machen? Das ist eine japanische Philosophie.

Wovor hast du Angst?

Ich hab vielleicht Angst davor allein zu bleiben? Aber ich denke, dass ich nie alleine bleibe (lächelt). Und meine zweite Angst ist, dass meine Freunde und Familie und alle, die für mich wichtig sind, Probleme kriegen könnten. Ich habe auf jeden Fall mehr Angst für andere als für mich.

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